Blog-Archiv Juni 2007

28.6.2007: ENHR-Jahrestagung

17.6.2007: INSM-Regionalranking

15.6.2007: The German housing market

14.6.2007: Sophie Scholl - Die letzten Tage

8.6.2007: G8-Gipfel-Nachlese

5.6.2007: Privatisierung der kommunalen Wohnungsgesellschaft (SWA) in Annaberg-Buchholz

 

 

28.6.2007: Die Jahrestagung des European Network of Housing Research (ENHR), hat in diesem Jahr in Rotterdam stattgefunden. Das Besondere an diesem Netzwerk ist die Kombination aus Internationalität und Interdisziplinarität. Es ist hier eben nicht so, daß einzelne Disziplinen wie die Betriebswirtschaftslehre, die Volkswirtschaftslehre, die Soziologie, die Rechtswissenschaften oder die Geographie die Szene dominieren. Damit wird dem Charakter des Wohnens als Querschnittsthema Rechnung getragen. Die Mischung aus Wissenschaftlern und Praktikern aus unterschiedlichen Ländern ist sehr anregend. Die Chancen, hier Anregungen für neue Forschungsansätze zu bekommen, sind ausgezeichnet. Es tut gut, einmal die nationalen Scheuklappen abzulegen.

Ich habe im workshop Housing Finance auf der Grundlage unseres vor kurzem abgeschlossenen Forschungsprojekts über die Probleme bei der Revitalisierung historischer ostdeutscher Innenstädte vorgetragen (Präsentation und Paper). In der anschließenden Diskussion wurden Versuche, unwillige Eigentümer unter Druck zu setzen als wenig erfolgversprechend bezeichnet. In diesem Zusammenhang wurde vor einer moralisierenden Perspektive auf das Problem gewarnt. Im Bezug auf die Subventionierung hat ein Teilnehmer vorgeschlagen, Totalsanierungen überhaupt nicht mehr zu fördern und die Mittel statt dessen nur noch für Maßnahmen der baulichen Sicherung zu verwenden. Ein anderer Teilnehmer hat dagegen dazu geraten, die Menschen und nicht die Gebäude zu subventionieren, also erst Nachfrage nach Wohn- und Geschäftsräumen zu schaffen. Die Diskussionsleiterin hat die Beiträge wie folgt zusammengefaßt: Wenn in einer “low demand area” die ökonomische Basis fehlt, dann wird man nicht alle erhaltenswerten Objekte retten können.

Eine anregende Diskussion hat die Präsentation von Livia Figa-Talamanca von der European Mortgage Federation über die Variabilität von Zinssätzen in Europa ausgelöst.
Livia hat mit einem Überblick über das Volumen ausstehender Hypothekarkredite begonnen und die Entwicklung der Hauspreise in den einzelnen Ländern miteinander verglichen. Es fällt auf, daß Deutschland sich der Dynamik bei den Hauspreisen und der Kreditvergabe völlig entzogen hat - als ob es eine Insel wäre. Außerdem sind die Unterschiede zwischen den angebotenen Kreditprodukten in den einzelnen Ländern sehr groß. Der in Deutschland gebräuchliche Festsatzkredit über die gesamte Laufzeit ist in unseren Nachbarländern nicht sehr verbreitet. Entweder bedient man sich dort solcher Darlehen, bei denen der Zins nur bis zum ersten Prolongationstermin festliegt (z.B. Großbritannien) oder es überwiegen Kredite, die von Anfang an variabel verzinslich sind (z.B. Griechenland, Spanien, Portugal).
Es wäre aber voreilig, daraus den Schluß zu ziehen, daß diese Märkte generell einem größeren Risiko ausgesetzt wären (z.B. bei fallenden Hauspreisen oder steigenden Zinsen). Zur Beurteilung des Risikos muß man weitere Indikatoren einbeziehen, z.B. die durchschnittliche loan to value ratio (LTV = Beleihungsauslauf) und die durchschnittliche Tilgungsrate. Außerdem haben gerade in den Ländern, wo variable Verzinsungen verbreitet sind, auch caps und floors, die die Zinsausschläge begrenzen, eine große Bedeutung.
Die Diskussion hat sich dann kurz der Ratio von Festsatzkrediten zugewandt. Ich habe die Auffassung vertreten, daß diese als Instrumente zur Risikobegrenzung nur dann Sinn hätten, wenn am Ende der ersten Zinsbindungsperiode die ausstehende Restschuld bereits wesentlich gefallen sei (also in Kombination mit einer hohen Tilgungsrate). Außerdem sei es zweckmäßig, eine Festsatzhypothek in mehrere kleinere Hypotheken mit unterschiedlichen Zinsbindungsdauern zu splitten.
Der Vertreter der Weltbank hat schließlich darauf hingewiesen, daß in naher Zukunft bessere Instrumente zum Management des default risks durch den Kreditnehmer bereitstehen würden: baskets of loans, Zinsderivate und andere Kreditmarktderivative auf der Basis eines “mortgage credit index” (der aber eine Standardisierung der Kreditbedingungen voraussetzt) und real estate derivatives (zur Absicherung gegen fallende Hauspreise).

Ein Höhepunkt der Veranstaltung war der von dem “Altmeister” Hugo Priemus (mehr als 40 Jahre Forschungserfahrung in housing) im Plenum gehaltene Vortrag “Essentials of Social Housing”. Hugo hat sich seinem Thema auf eine sehr grundsätzliche Weise angenähert (meaning and role of a house in this day and age).  Bereits in den 60er Jahren hat er sich in Marokko mit den postnomadischen Wohnformen (Höhle, Zelt) beschäftigt. Dieser Vortrag hat bei mir den Zusammenhang der verschiedenen Bereiche meines Forschungsgebietes wiederhergestellt und mir den Sinn meines Tuns verdeutlicht.
Als wesentliche Funktionen eines Heims hat Hugo benannt: provides an address, base for interaction with others (neighbour relations, social capital, weak and strong ties: auf diesem Gebiet besteht eine Konkurrenzbeziehung zum Internet, bspw. myspace.de), centre of consumption, place of work, Freizeit und Erholung, Wetterschutz und Schutz gegenüber anderen externen Bedrohungen. Diese Funktionen sind nicht statischer Natur. So wurde in den letzten Jahren die Rolle des Heims als Arbeitsplatz immer wichtiger. Manche Autoren bezeichnen das Heim bereits als Zentrum der wirtschaftlichen Produktion.
Der Begriff von Wohnungspolitik, dessen sich Hugo Priemus bedient, folgt dem von Bourne (1981): “... what one must consider as housing policy is nothing less than the summation of all spatial and sectoral decisions which shape the geography of housing production and consumption in a city or country. In these terms, it is not surprising that direct housing policies, narrowly defined, are often inadequate in scale, diffuse in their intentions, and misdirected.” Wohnungspolitik ist ein Querschnitt durch andere Politiken, die im Grunde eine Matrixorganisation der Regierung verlangt. Er zitiert dann aus seiner Einführungsvorlesung aus dem Jahr 1977: I maintain that housing should be accorded higher priority in politics “because the vast majority of needs can be satisfied in and around the home, because it forms the entourage for an ever-increasing part of the production process - which can take then place in an environmentally-friendly manner - and because, without government action, we might end up with a deficiency in supply and a very uneven distribution of living space ...” I advocate a productive role for the resident in the housing market and the house-building market: “People provide and create their own housing. This is the angle from which I shall study housing.”
Aus der besonderen Bedeutung des Wohnens und der Wohnungspolitik folgert Priemus, daß die institutionelle Gestaltung des Wohnungsmarktes und des Marktes für Projektentwicklungen demokratisiert werden müsse. Es geht um Mieterbeteiligung, aber um einen stärkeren Einfluß der Nutzer auf den Planungsprozeß. Er will auch das tradierte Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter auf eine neue vertragliche Basis stellen. Möglicherweise denkt er hier an das Konzept des genossenschaftlichen Wohnens.
Die Angebotsseite des Wohnungsmarktes chrakterisiert Hugo Priemus als “smart mix”. Die meisten Länder haben einen besonders regulierten gemeinnützigen Sektor und das hält er angesichts des Marktversagens an den Wohnungsmärkten und der meritorischen Eigenschaften des Gutes Wohnen auch für richtig. An dieser Stelle hätte man sich aus deutscher Sicht genauere Erläuterungen gewünscht, denn wir sind gerade dabei, die Reste des ehemaligen gemeinnützigen Sektors durch Privatisierungen von öffentlichen Wohnungsunternehmen zu schleifen. In seinen abschließenden Ausführungen geht Hugo noch kurz auf die niederländischen gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ein. Dieser Sektor soll sich durch eine breite Zielgruppendefinition auszeichnen, die Stigmatisierung und soziale Segregation vermeidet. Priemus bezeichnet den Sektor sogar als weltweite benchmark.
Aus deutscher Sicht wird man die genauere Identifikation der Quellen des Marktversagens an den Wohnungsmärkten und die kritische Auseinandersetzung mit den für die Meritorisierung des Gutes Wohnen genannten Gründen als die derzeit wichtigsten Forschungsthemen ansehen wollen. In diesem Zusammenhang gilt es, das Marktverhalten der neuen Investoren in Deutschland zu studieren. Eine sehr wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist die, inwieweit Großvermieter Stadtrendite allein aus betriebswirtschaftlichen Motiven produzieren. Die Deutschen sollten jede Gelegenheit nutzen, ihre Erfahrungen mit Forschern, Wohnungspolitikern und Praktikern aus anderen Ländern auszutauschen.
In der anschließenden Diskussion habe ich mich für eine genauere Abgrenzung zwischen dem sozialen Wohnungsbau und dem gemeinnützigen Wohnungssektor ausgesprochen. Der soziale Wohnungsbau ist nach heutigem Verständnis in erster Linie für den Marktzugang diskriminierter Gruppen zuständig. Er konkurriert insoweit mit dem Wohngeld (housing allowances), ohne das dieses in aber vollständig ersetzen könnte. Es geht darum, jedem Haushalt, genau den Wohnkonsum in qualitativer und quantitativer Hinsicht zu ermöglichen, den die Gesellschaft als Mindeststandard für angemessen hält. Diese Aufgabe kann aber auch von privaten Wohnnungsunternehmen als Empfänger der Fördermittel wahrgenommen werden. Der gemeinnützige Sektor dagegen ist weniger gewinnorientiert als die private Wohnungswirtschaft und erhebt den Anspruch “social return” oder Stadtrendite und nicht nur Bilanzrendite zu produzieren (z.B. verbesserter Zugang zu Bildung und Gesundheit, gesellschaftliche Partizipation). Außerdem sollte sich die Gemeinnützigkeit in der Unternehmenskultur niederschlagen (“care culture”). Ich habe die Vermutung, daß die relative Bedeutung dieses Sektors - wie auch des sozialen Wohnungsbaus - nicht zuletzt von der allgemeinen Wohnungsmarktsituation abhängt. Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß in Deutschland, wo entspannte Wohnungsmärkte vorherrschen, der Abbau des gemeinnützigen Sektors und des sozialen Wohnungsbaus die größten Fortschritte gemacht haben.

In Großbritannien gibt es zwar noch einen gemeinnützigen Sektor, doch ist dieser permanent im Wandel begriffen. Mit einem Aspekt dieses Wandels befaßte sich der auf dem workshop 16 – Institutional and Organisational Change in Social Housing Organisations in Europe - gehaltene Vortrag “Mixed Motives? The impact of direct public funding for private developers on not-for-profit housing networks in England.” von David Mullins und Bruce Walker. Es geht dabei um den sogenannten “mixed market” in der Produktion von Sozialwohnungen. In Großbritannien gibt es etwa 400 Housing Associations, von denen aber nur 70 den Status eines “builders” (=Projektentwickler) von der Regierung verliehen bekommen haben. Dies hat Fusionen und Kooperationen (“partner associations”) zur Folge gehabt. Außerdem sind in einer Art Pilotprojekt auch neun private Projektentwickler als direkte Subventionsempfänger (d.h. nicht nur als Unterauftragnehmer) ausgewählt worden. Diese bewirtschaften die Wohnungen aber hinterher nicht. Diese Entwicklungen sind in der Suche nach effizienteren Formen der Arbeitsteilung begründet (Einsparung von Transaktionskosten).

Ich möchte abschließend noch von dem “field trip” mit der niederländischen Housing Association PWS berichten. Diese Gesellschaften sind Stiftungen, d.h. sie gehören wirtschaftlich betrachtet sich selbst. Die niederländischen HAs haben direkten Zugang zum Rentenmarkt. Sie haben sämtlich ein AAA-Rating und können sich mittels Schuldverschreibungen sehr günstig Fremdkapital beschaffen. Die ausgezeichneten Ratings sind eine Folge der Mitgliedschaft aller gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in einer Art Garantieverein - eine durchaus nachahmenswerte Gestaltung. Natürlich ist die PWS auch im Bereich “social management” engagiert. Sie bedient sich dazu aber eines Netzwerks geeigneter Kooperationspartner.

 - Impressionen vom field trip sowie vom Rotterdamer Hafen -

 

17.6.2007: Die Ergebnisse des INSM-Regionalrankings sind für unseren Landkreis Löbau-Zittau nicht schmeichelhaft. Die ausgewählten Indikatoren deuten darauf hin, daß der Landkreis zu den wirtschaftlich schwächsten in ganz Deutschland zählt. Wir liegen auf Platz 425 unter 435 untersuchten Landkreisen und kreisfreien Städten. Es kann nur besser werden.

 

15.6.2007: Gerade bin ich auf die Präsentation “The German housing market:
Supply and demand – today and tomorrow” von Deutsche Bank Research, dem think tank der Deutschen Bank Gruppe gestoßen (März 2007). Ich zitiere die Folie mit den Concluding Remarks:
Thinking in alternatives is necessary
– The world has changed dramatically. Alleged public goods are frequently put to the
test. This requires an important decision: which goods should be supplied in which quality by the government (direct implication: which goods should not!)
Cautious argumentation with so-called positive externality
– Here, these externalities are called “social or city return“
– The social mix of tenants is always an implicit financial transfer from the BOTTOM to the TOP
– The colourful mix we are (still) seeing in Germany partly stems from earlier shortages and from old transfer systems
Ist denn der “colourful mix” (die bei uns weniger weit fortgeschrittene soziale Entmischung in den Quartieren) nur deshalb nicht erhaltenswert, weil wir sie historisch erklären können? Oder meinen die beiden Autoren (Prof. Dr. Norbert Walter und Dr. Tobias Just), daß die weitere soziale Entmischung unausweichlich ist?
Über den zweiten Anstrich habe ich lange gerätselt. Soziale Mischung soll immer mit einer Umverteilung von unten nach oben einhergehen -  das ist die These. Das soll wohl heißen: Am billigsten wohnen die Benachteiligten, wenn sie unter sich bleiben. Dann bleiben sie aber auch für immer benachteiligt.

 

14.6.2007: Gestern auf arte: “Sophie Scholl - Die letzten Tage”, ein intensiver Film, der einem diese junge Frau sehr bringt. Sophie ist ist eine historische Symobol-Figur, deren aufrechte und furchtlose Haltung uns für immer ein Vorbild sein wird. Ich glaube nicht, daß die jungen Leute damals “leichten Sinnes” waren. Sie hatten den Charakter des NS-Regimes erkannt und es wird ihnen klar gewesen sein, daß sie sich in Lebensgefahr begeben haben. Wie Winston Smith in 1984 sind sie dem Auftrag ihres Gewissens gefolgt - vielleicht in dem Wissen um die Vergeblichkeit ihres Tuns und den  Tod als sichere Folge ihres Tuns. Sie haben - vordergründig betrachtet - irrational gehandelt. Es war nicht jugendliche Hybris, die sie den Kampf mit den Nazis aufnehmen ließ. Sie haben das höchste Opfer für Deutschland gebracht. In der Nazi-Zeit ist die Spreu vom Weizen getrennt worden. Zehntausende von Verbrechern und Mördern, Millionen von opportunistischen Mitläufern und leider nur wenige Menschen, die aktiven oder passiven Widerstand geleistet haben. Wären die nicht gewesen, müßte man sich ein anderes Volk suchen. Wenn ich mir vorzustellen versuche, was ich in der Situation von Hans oder Sophie gemacht hätte, mit ihren Erfahrungen und Erkenntnissen versehen, dann ist die Antwort: die Faust in der Tasche geballt, aber aus Angst vor dem Fallbeil nichts unternommen.

 

8.6.2007: G8-Gipfel-Nachlese: Natürlich kann man versuchen mit mehr Entwicklungshilfe, Schuldenerlassen, einer Tobin-Steuer, dem Export unserer Arbeits- und Umweltschutzstandards und anderen Mitteln die Globalisierung menschlicher zu gestalten. Entscheidend sind aber die Auswirkungen der Globalisierung auf Wirtschaftskultur und Wirtschaftsethik. Die Globalisierung deformiert unsere Werte - auf individueller und gesellschaftlicher Ebene, weil sie durch den “Import” uns innerlich fremder Institutionen, Wertvorstellungen und -haltungen die Entfesselung unserer heimischen marktwirtschaftlichen Ordnung entscheidend beschleunigt. Es stimmt, daß unsere Wirtschaft makroökonomisch betrachtet zur Zeit von der Globalisierung profitiert, doch wir zahlen auf lange Sicht einen Preis dafür.
Der Marktwirtschaft wohnt eine Tendenz zur moralischen Entgrenzung inne. Mit jeder Generation erhöht sich die Toleranz für gemeinschaftsschädliche Handelsbräuche und Verhaltensweisen. Die Wirtschaftspolitik fördert diese Tendenzen, wenn sie sich des Menschenbildes der Ökonomen bedient: das Konstrukt des “homo oeconomicus”, eine Art wandelnder Rechenmaschine, die ständig Nutzen und Kosten von Handlungen und ihren Alternativen gegeneinander abwägt. Wenn man Institutionen für diesen homo oeconomicus “maßschneidert”, dann fördert man damit die entsprechenden Verhaltensweisen.
Die Menschen machen in unserer Wirtschaftsordnung ständig die Erfahrung, daß sich eigeninteressiertes Verhalten lohnt - und solidarisches meistens nicht. Nicht wenige Menschen neigen dazu, diese Erfahrungen auf immer mehr Lebensbereiche zu übertragen - und zwar auch auf solche, wo eigeninteressiertes Verhalten eindeutig gemeinschaftsschädlich ist. Die Menschen sind also eigentlich gar nicht so wie sich die Ökonomen das vorstellen. Sie werden erst durch die Institutionen und durch schlechte Beispiele dazu gemacht. Das Baby in der Wiege ist noch kein homo oeconomicus.
Beispiele? Nehmen wir die Denkmalschutzabschreibung. Die höheren Abschreibungen sollen einen wirtschaftlichen Anreiz für die Erhaltung und Modernisierung von Baudenkmalen setzten. Eigentlich ein guter Zweck. Mit dieser Subvention werden auch Investoren ohne jeden innerlichen Bezug zu Kultur und Baugeschichte zu Denkmalschützern. Was lernen die Menschen aber daraus? Auf lange Sicht wird man nur noch dann uneigennützig handeln, wenn der damit verbundene Nutzenentgang / Gewinnverzicht durch Subventionen kompensiert werden. Den Menschen wird die Eigeninitiative und die Solidarität damit auf Dauer ausgetrieben.
Wie kann die Abwärtsspirale der moralischen Degeneration gestoppt werden? Ist das überhaupt eine Aufgabe der Politik? Klassische reformerische Wirtschafts- und Sozialpolitik kann auf diesem Gebiet für sich genommen nicht viel bewirken.
... to be continued ...

 

5.6.2007: Auch in der Stadt Annaberg-Buchholz im Erzgebirge gibt es Pläne für die Privatisierung der kommunalen Wohnungsgesellschaft (SWA). Dazu hat heute ein Diskussionsforum des Kommunalpolitischen Forums Sachsen e.V. stattgefunden: “Droht der Ausverkauf städtischer Wohnungen? Die SWA vor der Privatisierung”. Ich habe dort ein Impulsreferat gehalten.
Die Lage in Annaberg-Buchholz stellt sich so dar: Bei der Pro-Kopf-Verschuldung liegt man im guten Mittelfeld, aber die Wohnungsgesellschaft braucht jedes Jahr eine Liquiditätsspritze aus dem Haushalt - im sechsstelligen Bereich. Man hatte in der Vergangenheit zu unspezifisch und wohl auch zu teuer modernisiert. Die Folge ist eine untragbare Zinslastquote, die laufende Verluste nach sich zieht.
Der Veranstaltungssaal war gut gefüllt - größtenteils von beunruhigten SWA-Mietern - und im Wechselspiel von Podium (SWA-Aufsichtsratsvorsitzender, SWA-Aufsichtsratsmitglied, Moderator MdL Fröhlich und ich) und Publikum wurde das Problem von allen Seiten beleuchtet.
Der Marktanteil der SWA (15 Prozent) erscheint auf den ersten Blick nicht übermäßig hoch. Die Bestände sind freilich in bestimmten Vierteln konzentriert, so daß sich zum Teil eine dominierende Marktstellung ergibt. Außerdem weisen die SWA-Bestände eine besonders sensible Belegungsstruktur auf.
Als Argument für die Privatisierung wurde weiterhin vorgetragen, daß der vorherrschende Mietermarkt eine disziplinierende Wirkung auf einen möglichen Erwerber entfalten würde. Das ist als Durchschnittsbetrachtung sicher richtig, aber nicht im Einzelfall. Ein Finanzinvestor wird als erstes prüfen, welche Verträge noch Mieterhöhungspotential im Hinblick auf die Vergleichsmiete aufweisen (siehe die Mieterhöhungen der Dresdner WOBA).
Außerdem wurde die Frage aufgeworfen, wie die neuen Investoren rechnen. Zum Verkauf steht ein Unternehmen mit einem negativen Cash Flow. Also ist auch der Ertragswert negativ. Ein Investor, dem man nicht noch Geld mitgibt, muß also die Erwartung haben, den Cash Flow deutlich ins Schwarze drehen zu können. Dazu muß er Werthebel einsetzen: z.B. Mieterhöhungen, Mieterprivatisierungen über Einstandspreis, Weiterverkäufe oder Plazierungen am Kapitalmarkt. Es bleibt also nicht alles beim Alten.
Natürlich wurde auch diskutiert, ob man mit einer Sozialcharta nach Dresdner Vorbild den Investor so weit binden kann, daß man eine Privatisierung aus sozialer und städtebaulicher Sicht verantworten kann. Grundsätzlich gilt hier: Je mehr effektive Fesseln man dem Käufer anlegt, desto weniger wird er für die Braut bezahlen wollen. Man könnte sich eine Sozialcharta vorstellen, die nicht die Schwächen der Dresdner Charta aufweist (also effektive, einzelfallbezogene Mietbegrenzungen, ein effektives Sanktionssystem, Formen der Mieterbeteiligung, dauerhafte Bindungen), aber wird man die durchsetzen können?
Es kann eigentlich nicht verkehrt sein, daß die Privatisierungsalternative geprüft wird. Dann darf aber das Ergebnis nicht von vornherein feststehen, sondern der Stadtrat muß die gewonnenen Informationen nutzen, um eine transparente und verantwortliche Entscheidung zu fällen. Gegenüber Finanzinvestoren und besonders gegenüber den “Huntern”, die sich als “Zwischenerwerber” Renditeziele zwischen 10 und 15 Prozent nach Steuern und Inflation setzen, ist grundsätzlich Skepsis angebracht.

 

 

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